Ich bin Julienne. Ich lebe in der DR Congo, ganz im Osten, dort, wo seit einigen Jahren ein Bürgerkrieg immer wieder aufflackert. Ich erzähle Ihnen in 24 Geschichten von unserem Leben hier im Congo. Setzen Sie sich zu uns ans Feuer.
Seit über zwanzig Jahren bin ich mit den dort in Tandandale lebenden Pygmäen verbunden. Ich werde Euch in 24 kurzen Geschichten vom Leben der Menschen hier im Krieg und dem Leben der Pygmäen erzählen. Ja, die Situation, in der wir leben, ist nicht gut. Aber wir erfahren immer wieder Wunder und Bewahrung, Wir vertrauen darauf, dass Gott uns durch alle Schwierigkeiten hindurch helfen will und wird. Wir wollen unser Land nicht aufgeben und trotz aller Probleme und Gefahren machen wir weiter. Und das gelingt uns doch noch ziemlich gut.
Als ich im Jahr 1988 meine Sekundarschule beendete, hatte ich kein Geld für die Prüfungen. Da ich keine Familie hatte, die mich unterstützen konnte, musste ich selbst klar kommen. Damals lebte Horst Schulze in Katwa1. Ich hatte ein wenig Angst vor ihm, mit seinem Vollbart und seinem Amt als Missionar2. Doch auch andere Leute baten ihn um Hilfe und er schien alle gleich zu empfangen.
So ging ich zu ihm, schilderte ihm meine Lage und bat ihn, mir das Geld vorzustrecken. Ich würde es gerne dann abarbeiten. Er gab mir das Geld und ich arbeitete die Summe nicht nur ab, sondern er stellte mich ganz ein. Er wurde mein Papa.
Nachdem er uns 1992 verließ, konnte ich eine Ausbildung als Krankenschwester machen.
Papa Schulze hatte auch Kontakt zu den Wambuti bekommen. Das sind Pygmäen, die ca. 80 km westlich von Katwa bzw. Butembo lebten.
Nachdem er uns 1995 noch einmal besuchte, rief er mich, damit ich als Krankenschwester unter den Pygmäen dienen konnte. Damals war es noch ein weiter Fußweg, denn nur die Hälfte konnte man mit dem Auto oder Motorrad befahren. So abgelegen lebten die Menschen dort. Doch die Pygmäen hatten erkannt, dass sie sich auf die neue Zeit einstellen mussten und wollten Entwicklung.
So war meine Aufgabe dort, nicht nur eine Gesundheitsstation aufzubauen, sondern auch eine Schule zu bauen und die Pygmäen geistlich zu betreuen. Ihre ethischen Gewohnheiten waren schlimm.
Es konnte vorkommen, dass jemand versuchte, einen anderen zu erschlagen, weil sie Streit hatten. Das wurde als normal angesehen, der andere könnte ja sich verteidigen. Liebe oder Nächstenliebe, wie Jesus das predigte, kannten sie nicht. Das hat sich inzwischen geändert. Es kam vor kurzen zwar auch wieder vor, dass eine Frau ihren Mann mit dem Beil verfolgte, weil er ihr kein neues Kleid kaufen wollte. Das hätte er gemusst nach einem Seitensprung. Aber sie alle wissen jetzt, dass das falsch ist. Und so konnten sie sich später wieder vertragen.
Der Glaube an Jesus hat da viel in ihnen bewirkt.
Ich heiratete und kehrte 2013 wieder nach Tandandale zurück. Jetzt als Leiterin des Projektes. Papa Schulze ist schon ein komischer Mann, auch wenn er jetzt keinen Vollbart mehr hat. Wer setzt denn in unserer Gesellschaft eine Frau wie mich als Leiterin ein? Dazu Frau Uleda als Schatzmeisterin. Das sind Stellen, die eigentlich Männer besetzen müssten.
Ich freue mich, dort in der Kreisstadt Buyinga zu leben, auch wenn jetzt Krieg ist und ich dieses Jahr mehrere Male fliehen musste.
Es gibt momentan zwei Gruppen von Maimai-Rebellen in der Umgebung von Buyinga: Die Mazembe und die NDC (Nduma Defence of Congo; Nduma Verteidigung des Kongo) Die NDC oder Nduma besetzen die Dörfer im Westen von Buyinga, von Makisa an (13km von Buyinga) bis weit in den Wald hinein. Sie kamen aus dem Südwesten und sind ursprünglich vom Stamm der Wanyanya.
Die Mazembe haben ihr Lager auf dem Berg Muhola, der sich entlang der Straße von Buyinga zwischen Kivugha und Vitumbi erstreckt. Diese sind vom hier wohnenden Stamm der Wanande. Die Mazembe führen eine besonnenere Herrschaft. Auch sie sind strikt, aber sie haben nicht diese übermäßig drakonischen Strafen wie die Nduma.
Von Zeit zu Zeit liefern sich diese beiden Gruppen Gefechte.
Tandandale liegt im Gebiet der Nduma. Ich habe einige Erlebnisse mit ihnen gehabt, die ich Euch in den nächsten Tagen erzähle.
Es ist auch für mich immer wieder erstaunlich, wie ich trotz Flucht und Gefahr sagen kann, dass ich mich freue, hier zu leben und diese Arbeit tun zu dürfen. Ich habe das Glück, mich um meine Freunde, die Wambuti kümmern zu dürfen und werde dafür sogar noch bezahlt. Danke!
1Katwa ist ein Vorort von Butembo. Sitz des dortigen Kirchenkreises der CBCA, die auch dort gegründet wurde.
2Missionar hat in Europa einen negativen Klang. Im Congo ist das anders, so wie vieles anderes auch. Die Congolesen haben nie vergessen, dass es Missionare waren, die ihnen sie den Klauen von König Leopold I gerettet hatten. Ein Viertel aller Menschen im Congo kamen während seiner Zeit um. Auch danach waren es die Missionare, die Schule bauten und die Menschen unterstützten, während die belgischen Kolonialherren das eigentlich nicht so wünschten. Und das setzte sich so fort. Missionare waren immer an vorderer Stelle bei der Verteidigung von Menschenrechten und der Entwicklung. So ist es verständlich, dass es im Congo ein ‚Missionair Protestant‘ oder ein ‚Padiri‘ bevorzugt behandelt wird. Auch heute noch werden 2/3 der Schulen und die meisten Krankenhäusern von den Kirchen geführt, ebenso wie die meisten Entwicklungsprojekte. Die Nachfolger der Missionare, die Kirchen, sind für Entwicklungsorganisationen ein verlässlicher Partner in einem korrupten Land.