10. Tag: Tandandale – Hinter dem Äquator die erste Straße rechts oder „Hilfe, das Geschenk bewegt sich!“ (Ingo)

rps20130302_132800_0Nachdem wir den gestrigen Abend mit vielen Überlegungen verbracht haben, wie wir nun nach Tandandale kommen, haben wir einen Schlachtplan ausgearbeitet: Wir verzichten auf die UN-Eskorte und auf die offizielle Variante. Die Gefahr, dass Informationen über unsere Reiseabsichten, vor allem bei Einschalten der lokalen Authoritäten, in die Hände der Rebellen gelangen, ist einfach zu groß. Zusätzlich wäre die Begleitung durch die UN an ein strenges Protokoll gekoppelt gewesen, das uns alle Flexibilität in Bezug auf Fotostopps, sonstige Pausen oder andere spontane Änderungen des Reisewegs genommen hätte. Wir haben uns daher für die folgende Variante entschieden: Wir fahren mit einem Landrover. Vorne im Auto sitzen der Fahrer, Uleda und der Superintendent. Horst, Matthias und ich nehmen in der zweiten Reihe Platz und im Kofferraum sitzt Joade, so dass von vorne und hinten nicht auf Anhieb zu sehen ist, dass Weiße im Auto sind. In einem Abstand von ca. 15 Minuten fährt ein Motorrad mit dem Pastor Masungu aus Tandandale voraus, um uns im Ernstfall per Handy über Rebellenkontakt zu warnen, so dass wir Zeit haben, darauf zu reagieren und gegebenenfalls umkehren oder warten zu können. Desweiteren wollen wir schon früh morgens starten, etwa zwei Stunden vor Ort bleiben. Horst bekräftigte, auf gar keinen Fall mehr in Tandandale was essen zu wollen, um dann gegen 12:00 Uhr den Rückweg antreten zu können. Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt… <!–more–>

rps20130302_104829_0Gott sei Dank ist der Plan (größtenteils) aufgegangen! Die einzigen Bewaffneten, denen wir begegnet sind, waren Soldaten und die haben uns Weiße erst im Vorbeifahren bemerkt, da sie respektvoll den Superintendenten im schwarzen Anzug und mit weißem Kragen ausgerüstet gegrüßt haben. Der Weg aus Butembo raus war von den Straßenverhältnissen her noch halbwegs passabel. Wir mussten jedoch mehrere Höhenzüge überwinden, um endlich westlich in Richtung Tandandale abbiegen zu können. Wir wurden kräftig durchgeschüttelt während sich die Straße ächzend und stöhnend unter uns abwärts in Richtung des Congo-Beckens entlang schlängelte. Die Schotterpisten ab Kahuru waren teilweise so schlecht, dass wir unterwegs mehrere liegengebliebene Autos passierten. Unseren Fahrer interessierte das relativ wenig und er bretterte mit atemberaubender Geschwindigkeit über den rauhen Untergrund. Wir schraubten uns ruckelnd von 1800m bis auf etwa 1000m Höhe herab. Je tiefer wir kamen, desto heißer und feuchter wurde die Luft im Urwald um uns herum. Kurz vor dem Ziel machten wir einen Stopp, von wo aus man bereits Tandandale in der Ferne auf einem Hügel liegend unten im Tal sehen konnte. Von dort aus ging es dann zu Fuß weiter. Unser erster Besuch galt der Brücke. Das erste Mal konnten wir uns einen Eindruck von den realen Verhältnissen vom Biena-Fluss und der Umgebung der Brücke vor Ort machen. Momentan liegen ein paar einfache Baumstämme quer über den Fluss und es ist nicht gerade ungefährlich dort hinüber zu gehen, sogar noch gefährlicher als es auf den Fotos aussieht, vor allem wenn das Holz nach dem mittäglichen Tropenregen glitschig geworden ist. Der Fluss unter der Brücke bewegt sich mit geschätzten reißenden 1m/s. Ein Problem für die Leute, falls sie in den Fluss fallen sollten, da die meisten von ihnen nicht schwimmen können.

rps20130302_105008_0Danach ging es zunächst einmal weiter zu einem kleinen Pygmäendorf namens Senga. Senga hat ein großes Problem: der Grund und Boden, auf dem ihr Dorf liegt, gehört ihnen nicht, sondern wurde von ihnen gepachtet. Da der Pächter aber mittlerweile verstorben ist, hat sein Sohn das Land geerbt und möchte die Pygmäen von dort vertreiben. Durch die traumhafte Lage des Grundstücks direkt an einer Flussschleife des Biena und in der Nähe zur Straße erhofft er sich eine Menge Gewinn durch einen Verkauf. Allerdings muss da noch mehr hinter stecken, da er einen Verkauf an die Wambuti kategorisch ablehnt. Der momentan in Butembo vor Gericht anhängige Prozess ist noch nicht entschieden und kostet viel Geld; Geld, das man für einen Kauf gegebenenfalls brauchen wird. Brenzlig ist die Situation vor allem auch deshalb, weil die Wambuti aus Senga davon gesprochen haben, den neuen Pächter umzubringen, falls er sie gewaltsam vertreiben sollte. Keine guten Aussichten! Wir wurden jedenfalls freudig begrüßt von dem Stamm und dem Hilfspastor Melissa, der selber Pygmäe ist. Man führte für uns traditionelle Stammestänze begleitet von Trommelrhythmen auf. Dass die Zeit auch hier nicht stehengeblieben ist, erkannte man daran, dass eine der Trommeln ein umgedrehter Plastikkanister war.^^ Anschließend wurden wir zum Biena hinab geführt, wo man uns eine Schwimmpräsentation zeigte. Zwei Jungen sprangen ins Wasser begleitet von einem weiteren, der auf einem Floß zwischen ihnen herfuhr. Mir erschloss sich zunächst nicht der Sinn  dieser Darbietung, erst als Horst mir erklärte, dass es etwas ganz Besonderes ist, da die Pygmäen schwimmen können. Die meisten anderen, wie bereits oben erwähnt, nicht. Anschließend wurde uns stolz das Dorf präsentiert und ich staunte nicht schlecht, als ich hinter dem Dorf mitten im Urwald einen Fußballplatz sah, der größer als das Dorf selber war! Fußball ist tatsächlich international, auch mitten im äquatorialen Regenwald des Congo. Nachdem noch ein Sack Salz und andere kleine Geschenke übergeben worden waren, machten wir uns auf den Fußweg zurück über die Brücke zum Hügel von Tandandale.

rps20130302_105307_0Vollkommen durchgeschwitzt kamen wir oben an. Ich war froh, dass auch unsere schwarzen Freunde aus Butembo mit der Hitze zu kämpfen hatten. Oben angekommen entschädigte der Blick auf die umliegenden Berghänge und Hügel aber für alle Strapazen. Die Schönheit der Natur wirkt berauschend und löst derart viele Emotionen aus, dass man überwältigt wird von den vielen Eindrücken. Wir wurden in die Schule gebeten, wo wir offiziell von Pastor Masungu und den Bewohnern willkommen geheißen wurden. Horst wurde ein Blumenstrauß und ein Karton aus Palmenblättern übergeben. Während ich mich noch fragte, was wohl in dem Karton drin war, fing dieser auf einmal an, sich zu bewegen und komische Geräusche waren daraus zu hören. Genau, Horst hatte ein Huhn geschenkt bekommen! (Nebenbemerkung: Das ist mittlerweile mit uns gut in Butembo angekommen und erholt sich genau wie wir von den Reisestrapazen). Während wir uns die anderen Gebäude von Tandandale wie die weiteren Schulklassen, die Hütte für die Lehrer und die Krankenstation anschauten, begannen die ersten dunklen Wolken aufzuziehen und das aus der Ferne klingende Grollen kam schnell näher. Kurz darauf öffneten sich die Pforten des Himmels und schwere Tropfen fielen unnachgiebig auf den sich aufweichenden roten Lehmboden herab. So schnell wie der Regen kam, hörte er dann auch wieder auf, ich war jedenfalls dankbar für die Abkühlung. Willkommen in den Tropen! Mittag und damit der Zeitpunkt unserer geplanten Rückfahrt war bereits überschritten. Aber Horst sprach mit immer mehr Leuten und ließ sich alles zeigen, was die Wambuti gerne machten. „Hallo, Horst, die Zeit und so?“ Unter anderem die Ziegelpresse, deren Funktion man uns eifrig vorführte. Horst signierte noch zwei von ihm gepresste Ziegel mit einem Stock und eifrig wurden diese weggetragen, damit sie nicht mit den „ordinären“ Ziegeln vertauscht würden. Ich bin mal gespannt, in welchem Gebäude, diese dann letztendlich Verwendung finden werden, vielleicht in der geplanten Kirche? (Du möchtest auch namentlich auf einem Ziegel als Förderer des Projekts Tandandale verewigt werden? Gut, das dachten wir uns.^^ Bald gibt es mehr Informationen dazu auf der Homepage.) Eigentlich wollten wir ja aus Zeitgründen nichts in Tandandale essen, aber während ich noch Fotos machte, saß Horst schon am Tisch. Nach dem Händewaschen wurden wir an den gedeckten Tisch gebeten. Neben Maniokbrei und Reis stand dort Hühnchen in Soße und gegrillte Ziege. Dazu gab es noch Eier, frische Ananas sowie Kochbananen und gegrillte Bananen. Traditionell haben wir mit den Händen gegessen. Wer braucht eigentlich noch Handcreme, wenn die Devise beim Kochen lautet: je fettiger desto besser? Mit dieser Geschäftsidee werde ich der Kosmetikindustrie in Deutschland schwer zusetzen, auch wenn ich mit dann mit Weight Watchers anlegen muss^^ Der Maniokbrei wurde in eine Soße getaucht, die zwar sehr lecker schmeckte, in der jedoch Dinge herumschwammen, von denen ich gar nicht wissen wollte, was sie eigentlich waren. Mittlerweile war es 15:00 Uhr geworden und höchste Zeit aufzubrechen, wenn wir noch vor Einbruch der Dunkelheit in Butembo ankommen wollten.

Auf dem Rückweg machten wir noch eine Pause in Kahuru. Dort wird im August ein neuer Kirchenkreis gegründet. Genaugenommen wird der Kirchenkreis Katwa gespalten, da er zu groß geworden ist. Momentan ist man dabei, das Haus für den Superintendenten, für den Hilfspastor und die Büroräume zu errichten. Wir wurden herzlich eingeladen, bei der Eröffnung dabei zu sein. Wenn mir jemand den Flug bezahlen möchte, stelle ich gerne meine Kontoverbindung zur Verfügung.^^ Zwei Reisen in einem Jahr in den Congo sind finanziell einfach nicht machbar. Natürlich hatte man auch hier schnell noch etwas zu Essen und zu Trinken vorbereitet, während wir uns die Gebäude anschauten. Da wir aber noch eine strapaziöse Wegstrecke vor uns hatten und noch satt von dem Essen in Tandandale waren, nahmen wir nur ein paar Getränke zu uns, der Rest wurde in Tüten verpackt zum Huhn in den Kofferraum getan.

Mit der einbrechenden Dunkelheit erreichten wir die Ausläufer von Butembo und damit wieder die Sicherheit der Stadt. Wir sind sehr dankbar, dass wir die Reise unbeschadet überstanden haben. Danke an alle, die für uns gebetet haben und an uns gedacht haben. Es hat was genützt! Asante Mungu!

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